DER STOFF, AUS DEM LEGENDEN SIND

Nicht nur die großen Radsportler selbst, auch ihre Trikots sind Ikonen, die diesen Sport mitprägen. „Das Buch der Radsporttrikots“ erzählt die Geschichten.

 

Fast zweihundert originale Renntrikots finden sich im „Buch der Radsporttrikots“: Hemden aus Schur- und Baumwolle, Polyester und Elastan, die von großen und kleinen Meistern des Metiers getragen wurden.
Leibchen von klassischer Eleganz ebenso wie solche, die Ausdruck modischer Irrwege waren. Trikots, die dennoch allesamt ganz unmittelbar Erinnerungen an außergewöhnliche Fahrer und Mannschaften, Rennen und Momente wachrufen. Allein das Register der vertretenen Teams und Träger liest sich wie ein „Who´s Who“ der Radsporthistorie: Ob Rudi Altig, Jacques Anquetil, Gino Bartali, Fausto Coppi, Laurent Fignon, Bernard Hinault, Miguel Induráin, Greg LeMond, Olaf Ludwig, Eddy Merckx, Thaddäus Robl, Kurt Stöpel, Jan Ullrich oder Erik Zabel, ob Bic, Brooklyn, Carpano, Del Tongo, Diamant, Faema, La Vie Claire, Legnano, Mapei, Salvarani, St-Raphaël oder Team Telekom – kaum ein namhafter Name fehlt. Hinzu kommen etliche Wertungstrikots diverser Rundfahrten sowie Welt-
und Landesmeistertrikots aus verschiedenen Epochen. Begleitende Texte erzählen jeweils die Geschichten hinter den gezeigten Textilien, beleuchten verschiedene Schwerpunktthemen und zeichnen die Evolution dieser ganz besonderen Form von Arbeitskleidung nach, die stets gleichzeitig Funktionswäsche und Proviantbeutel, mobile Litfaßsäule und Erkennungszeichen von Freund und Feind zu sein hatte.

Ausgiebige Gebrauchsspuren am Regenbogentrikot von Hennie Kuiper, 1975
Ausgiebige Gebrauchsspuren am Regenbogentrikot von Hennie Kuiper, 1975
Jahr: 1975
Titel: Straßenweltmeister
Fahrer: Hennie Kuiper

Hennie Kuiper gehört zu einem exklusiven Dreier-Club: Neben Ercole Baldini und Paolo Bettini ist der Mann aus Limburg der einzige Radsportler, dem es gelang, sowohl Olympia- als auch WM-Gold im Straßenrennen der Männer zu erringen.
Die ausgiebigen Gebrauchsspuren an seinem Regenbogentrikot von 1975 könnten den Schluss nahelegen, er sei damals damals Cross-Weltmeister geworden. Gar keine so abwegige Vorstellung (obschon Kuiper natürlich das Gros seiner Erfolge auf der Straße errang): Ihm glückte immerhin das seltene Kunststück, im Jahr des WM-Titels auch bei der Landesmeisterschaft im Querfeldeinfahren zu triumphieren.

 

Fans und Reporter schätzten an dem Niederländer, der als sportlicher Leiter in den 1990er Jahren sowohl das Team Deutsche Telekom als auch den Motorola-Rennstall mit Lance Armstrong in die Erfolgsspur zu bringen versuchte, seine für einen Siegfahrer ungewöhnlich zurückhaltende, bescheidene Art. Was so gar nicht zu dem Merkspruch für angehende Rennfahrer passen möchte, der als „Hohes Lied“ auf die Zermürbungstaktik unter der Urheberschaft von Hennie Kuiper übermittelt ist: „Radrennen heißt, den Teller deines Gegners leer essen, bevor du mit deinem eigenen beginnst.“

Harry Saager betrieb fleißig Reklame für Rabeneick
Harry Saager betrieb fleißig Reklame für Rabeneick
Jahr: 1949
Team: Rabeneick
Fahrer: Harry Saager

Neun Fahrradwerke und zwei Freilaufnabenfabriken standen mit ihren Teams am Start der 11. Deutschland-Rundfahrt 1949. Auch Rabeneick, ein auf die Motorrad- und Fahrradproduktion spezialisiertes Unternehmen aus Brackwede bei Bielefeld, versprach sich von dem quer durchs Land rollenden Fahrerfeld Werbung für die eigenen Produkte. Harry Saager jedenfalls betrieb fleißig Reklame für die Firma: Er kletterte bei der vom 9. bis zum 23. Juli stattfindenden Rundfahrt aufs Siegertreppchen – der größte Erfolg des frisch gegründeten Teams.
Die Rundfahrt war nach dem Kriegsende ein Versuch, trotz widriger Rahmenbedingungen ein sportliches Großereignis auf die Beine zu stellen. Der Spiegel begleitete das Rennen und staunte nicht schlecht über die Start-Verpflegung der Fahrer, die Schnitzel, Frikadellen, Weißbrote, Pumpernickel, Backpflaumen, Kekse, Obst, Schokolade und Eier mit auf den Weg nahmen – in Tüten verpackt, nicht in Trikot-
taschen. nicht in Trikottaschen. Saager sicherte sich auf der Etappe nach Köln das Weiße Trikot des Gesamtersten – vom wenig geliebten „Leichenhemd“ des Spitzenreiters schrieb die Presse. Der Wahlberliner hatte seinem Ausreißkollegen Steinhilb den Tagessieg überlassen, das Feld kam erst eine Stunde später ins Ziel.
40 Mark pro Tag Startgeld erhielten die Fahrer – allein das Frühstück konnte schon 30 Mark kosten, das Abendessen sogar 52 Mark, wie der Spiegel notierte. Da war die Prämie von 3.000 Mark für den Gesamtsieg bei Saagers Team hochwillkommen.

 

Saager selbst zählte nicht unbedingt zum Favoritenkreis. Er hatte kurz vor der Tour eine Pension mit einigem Renovierungsbedarf in Bayern erworben. Ohne Trainingskilometer in den Beinen stand er am Hamburger Hauptbahnhof, an dem Max Schmeling das Peloton auf die Reise schickte. „Viel essen, wenig trinken, viel schlafen, geregelten Stuhlgang“ – das waren laut Spiegel Saagers Grundsätze, die ihm offenkundig nicht geschadet hatten. Sein ärgster Konkurrent war der sieben Jahre ältere Erich Bautz, der seine Karriere gerne mit einem Sieg beendet hätte. Doch an die 85 Stunden, 15 Minuten und 2 Sekunden, die Saager für die 2.800 Kilometer lange Rundfahrt benötigte, kam er nicht heran.

Das Grüne Trikot des Punktbesten, das in jenem Jahr als dezenten Blickfang einen staubgrauen Kragen aufwies.
Das Grüne Trikot des Punktbesten, das in jenem Jahr als dezenten Blickfang einen staubgrauen Kragen aufwies.
Jahr: 1955
Rennen: Tour de France
Fahrer: Wout Wagtmans

„Olijke Woutje“, „Dik Trom“, „Zoeloe“, „Clown“: Der Niederländer Wout Wagtmans sammelte in seiner Zeit Spitznamen wie andere Fahrer Arzneimittel zur Leistungssteigerung. Die „dicke Trommel“ war ein vielseitiger Fahrer, der seine Stärken auch bei der Tour de France zeigte. So war es auch im Jahr 1955, als Wagtmans, der ansonsten für Locomotief-Vredestein antrat, im Trikot der niederländischen Nationalmannschaft an den Start ging.
Zwei Tage lang trug er das Gelbe Trikot, zudem konnte er sich auch vorübergehend das Grüne Trikot des Punktbesten sichern, das in jenem Jahr als dezenten Blickfang einen staubgrauen Kragen aufwies. In der Gesamtpunktewertung landete er schließlich hinter Stan Ockers auf dem zweiten Platz.
Die Wertung beruhte in jenem Jahr darauf, dass es für jeden Platz bei einer Etappe einen (Minus-)Punkt gab. Mit 22 Etappensiegen in Serie wäre also die Optimalpunktzahl von 22 Punkten erreichbar gewesen. Ockers kam nach der Schlussetappe auf 322 Punkte, Wagtmans hatte 399. In der Gesamtwertung wurde er 19., das niederländische Team rangierte in der Länderwertung hinter Frankreich, Italien und Belgien auf dem vierten Platz.
Insgesamt neun Mal nahm Wout Wagtmans an der Tour de France teil, wobei ihm vier Etappensiege gelangen. 1953 belegte er in der Gesamtwertung den fünften Platz – sein bestes Resultat. Das Gelbe Trikot trug er mehrfach, 1954 sechs Tage lang, 1956 waren es drei Tage.

 

Berühmtheit erlangte er auch in anderen Gefilden. Zusammen mit Wim van Est nahm er die Single „Tour de France!“ auf. Auf der B-Seite pries Rennfahrerkollege Gerrit Voorting im Duo mit seiner Frau ein bekanntes Textil: „De Gele Trui“.

Das Design des Peugeot-Klassikers mit Zielflaggen und Rallyestreifen
Das Design des Peugeot-Klassikers mit Zielflaggen und Rallyestreifen

Jahr: 1967

Team: Peugeot - BP - Michelin

Fahrer: Tom Simpson

Mochten Renntrikots zuallererst als Bekleidungsstück dazu dienen, die sportliche Betätigung auf einem Fahrrad zumindest nicht zu behindern, so folgte mit der Zunahme von Fernsehübertragungen eine weitere wichtige Funktion: Das Oberteil der Fahrer sollte für die Zuschauer vor dem TV-Gerät eine gewisse Wiedererkennbarkeit gewährleisten. 

Das Design des Peugeot-Klassikers mit dem von Zielflaggen und Rallyestreifen im Automobilrennsport bekannten Schachbrett-Dekor ist auf diesen Wunsch zurückzuführen. 1963 wurde es eingeführt, um sich dergestalt vom restlichen Fahrerfeld abzuheben. Durch das markante Muster fielen die Trikots im weit verbreiteten Schwarz-Weiß-Fernsehen trefflich auf. Das Design blieb bis zum Ende des Teams 1986 erhalten, auch wenn mittlerweile das Farbfernsehen die Wohnstuben erobert hatte.

Zahlreiche Klassefahrer trugen das Peugeot-Trikot, darunter Eddy Merckx oder Tom Simpson. Der britische Straßenweltmeister von 1964 hatte in der Saison 1967 bereits Etappen bei der Vuelta und Paris–Nizza gewonnen, ehe er bei der Tour de France – im Trikot der britischen Nationalmannschaft – wenige Kilometer vor dem Gipfel des Mont Ventoux kollabierte und kurz darauf verstarb.

Das französische Team Peugeot blieb in den folgenden Jahren eine Mannschaft, die Fahrer aus dem angelsächsischen Raum anzog. Phil Anderson, Robert Millar, Stephen Roche und Sean Yates trugen im Schachbrett-Look ihren Teil dazu bei, dass Peugeot bis heute als eines der erfolgreichsten Teams in der Radsportgeschichte gilt.


Schwarze Längsstreifen auf weißem Grund, das war eine deutliche Reverenz an die andere Sportgröße aus der Heimat des Sponsors
Schwarze Längsstreifen auf weißem Grund, das war eine deutliche Reverenz an die andere Sportgröße aus der Heimat des Sponsors

 

 

 

 

Jahr:  1958

Team:  Carpano

Fahrer: Fred De Bruyne

Der Belgier Fred De Bruyne gewann 1958 Paris–Nizza und Lüttich–Bastogne–Lüttich im Trikot des italienischen Teams Carpano – einer Aperitifmarke, die sich von 1956 bis 1964 als Sponsor einer gleichnamigen „groupe sportif“ engagierte. 

Wichtigster Werbeträger war zunächst Fausto Coppi, der nicht nur als Fahrer zum Aufgebot zählte, sondern mit der nach ihm benannten Fahrradmarke auch als Co-Sponsor auftrat. Erst nach der Rückkehr des „Campionissimo“ zu Bianchi erhielten die bis dato komplett weißen  Carpano-Hemden zur Saison 1958 ihr markantes Aussehen, das sie zum Klassiker unter den Renntrikots machte. 

Schwarze Längsstreifen auf weißem Grund, das war eine deutliche Reverenz an die andere Sportgröße aus der Heimat des Sponsors. Wie die „alte Dame“ Juventus gehörte auch Carpano zu den Aushängeschildern von Turin, der Metropole des Piemonts. Hier war es, wo Antonio Benedetto Carpano im Jahre 1786 in seinem Weingeschäft an der Piazza Castello den ersten Bitter-Aperitif auf Wermut-Basis erfand.


Hauptsponsor Cycles Mercier war ein Radhersteller aus Saint-Étienne
Hauptsponsor Cycles Mercier war ein Radhersteller aus Saint-Étienne

Jahr: 1964

Team: Mercier - BP - Hutchinson

Fahrer: Raymond Poulidor

Raymond Poulidor und Mercier gehörten seinerzeit zusammen wie die Beatles und die Spitzenplätze der Verkaufscharts. Während seiner gesamten Profikarriere blieb Poulidor diesem einen Sponsor treu. 1964 war er Kapitän der französischen Mannschaft, die ihren Siegeshunger unter dem Namen Mercier-BP-Hutchinson stillen wollte. Hauptsponsor Cycles Mercier war ein Radhersteller aus Saint-Étienne, der sich seit den 1930er Jahren im Profibereich engagierte. Seit 1954 gab es diese Sponsorenkonstellation mit Reifenhersteller Hutchinson und der British Petroleum Company, die bis 1969 andauern sollte. Mercier selbst blieb bis 1983 dem Profiradsport verbunden. Poulidors Teamchef war der ehemalige Tour-Sieger Antonin Magne, der früher selbst für dieselbe Fahrradmarke in die Pedale getreten hatte. Violett lackierte Rahmen waren das Markzeichen der Renn-, Sport- und Alltagsräder von Mercier (die sich ungeachtet der gewagten Farbwahl ungemeiner Beliebtheit auf dem Heimatmarkt erfreuten); die Kombination lila-gelb wurde folgerichtig auch das Erkennungszeichen des Teams Mercier (dessen Fahrer aufgrund der gewagten Farbwahl zumindest immer einfach im Peloton auszumachen waren). In diesem schrillen Trikot gelangen dem »Ewigen Zweiten« Poulidor zwar keine Tour-de-France-Siege, dafür aber eine Vielzahl beachtlicher Erfolge, die gerne mal unter den Tisch fallen (was ihn bei seiner Selbstvermarktung als Pechvogel auch nicht weiter störte). 1964 beispielsweise siegte er bei der Vuelta, zudem gewann er die Jahreswertung „Super Prestige Pernod“, den Vorläufer des Weltcups. Im kollektiven Gedächtnis ist indes eher das berühmte Ellbogenduell am Puy de Dôme bei der Tour de France 1964 haften geblieben. Die Rundfahrt beendete er auf dem zweiten Platz. „Während an Lance Armstrong die Dopingvorwürfe hängen wie der frühe Lucky Luke an der Zigarette, klebt der Donald Duck am Raymond Poulidor und macht den (…) Franzosen mit dem ›Poulidorsyndrom‹ unsterblich“, schrieb die österreichische Zeitung Standard rückblickend auf Poulidors Karriere.

 


Bis 1974 leistete sich Bic ein Profiteam, dessen Erkennungszeichen das orange-weiße Trikot mit dem Werbeschriftzug und Logo war
Bis 1974 leistete sich Bic ein Profiteam, dessen Erkennungszeichen das orange-weiße Trikot mit dem Werbeschriftzug und Logo war

Jahr: 1971

Team: Bic

Fahrer: Luis OcañaSeit 1967 war das Männchen mit dem Tintenkleckskopf ein fester Begleiter im Peloton. Der kleine aufrechte, aber gesichtslose Kerl war das Symbol des französischen

Unternehmens Bic, das zunächst vor allem für seine Füllfederhalter und Druckbleistifte bekannt war. Später wurde das Produktportfolio um Schreibwaren und Feuerzeuge erweitert. Bis 1974 leistete sich Bic ein Profiteam, dessen Erkennungszeichen das orange-weiße Trikot mit dem Werbeschriftzug und Logo war. So alltäglich die Bic-Produkte waren, so außergewöhnlich waren die Fahrer des Teams. Jacques Anquetil, Rolf Wolfshohl oder Luis Ocaña zählten zu dem illustren Kreis. 1971 fuhren Charly Grosskost, Jean-Marie Leblanc oder Johnny Schleck an der Seite von Ocaña, der mit seinem Sturz im Gelben Trikot zum großen Unglücksraben der Tour de France avancierte. Kleiner Trost: Seine Teamkollegen konnten die Mannschaftswertung für sich entscheiden. Und dem in Frankreich aufgewachsenen Spanier, der von 1970 bis 1974 für Bic fuhr, glückte schließlich zwei Jahre später dann der Triumph in Frankreich.

Sein sportlicher Leiter 1971 war der legendäre Maurice De Muer, nicht umsonst als „kleiner Napoleon“ verschrien. „Es war eine Erfahrung, De Muer beim Start der Rennen zu sehen“, erinnerte sich der spätere Tour-de-France-Direktor Jean-Marie Leblanc. „Sein Team hatte er wie ein Armeegeneral um eine Michelin-Karte geschart, auf der er die Etappenroute, die Windrichtung und die Stellen eingezeichnet hatte, an denen seine Fahrer attackieren sollten.“ De Muer wechselte später zum Peugeot-Team, mit dem er ebenfalls große Erfolge feierte.

 


Quelle: Covadonga Verlag